Rezension: Vermarktungsstrategien für das Buch im multimedialen Raum

Auf dem »offenen Meer der Geschichten«

Cover zu Vermarktungsstrategien für das Buch im multimedialen Raum für Rezension

Buchmarketing heute – wie das funktionieren kann, untersuchen die Autorinnen und der Autor dieses Bands aus verschiedenen Perspektiven. Dabei liegt ihr Fokus auf Digitalisierung, Ökonomie der Aufmerksamkeit sowie Medienkonvergenz. Ausgehend vom Modell des literarischen Felds nach Pierre Bourdieu richten sie sich an »Professionelle der Buchbranche« und »akademische Forscher« gleichermaßen.

Im Einleitungskapitel skizziert Vincent Kaufmann, Direktor des Instituts für Medien- und Kommunikationsmanagement an der Universität St. Gallen, die neuen Rahmenbedingungen dafür, wie sich Sichtbarkeit für Bücher erzeugen lässt. Was hat sich geändert in den Aktivitäten von Verlagen? Welche Rolle spielen klassische Mittel wie Anzeigen und Lesungen? Wie beeinflusst die Digitalisierung die Wertschöpfungskette des traditionellen Buchmarkts? Was unterscheidet den Leser vom User? Und wie gestaltet sich die Transformation des Autors in Zeiten von Selfpublishing und Web 2.0? Diese Fragen behandeln die folgenden vier Kapitel.

Märkte und Marken

In »Neue Markenpotentiale für Buchverlage« betont Jana Baumgartner die Bedeutung von Verlagsmarken als Orientierungshilfe für die Kunden. Sie sieht in der Digitalisierung für Buchverlage die Chance, gerade in der Flut an Medienangeboten »Inhalte qualitativ anspruchsvoll aufzubereiten« und damit weiterhin mit ihrer Kernkompetenz zu überzeugen. Allerdings gilt es, das Entfallen von Zwischenstufen zum Endkunden und den Aufbau von Autorenmarken sinnvoll miteinzubeziehen. Überlegungen und Tabellen zu verschiedenen Markenstrategien und Praxisbeispiele etwa zur Markenidentität beim Aufbau Verlag fächern das Thema auf.

»Lesen 2.0 und seine Folgen« stellt Lesen als Kommunikationsform in den Mittelpunkt. Anna Pirhofer verfolgt das Superstar-Phänomen bei Bestsellern und die Kriterien, die dem Leser die Auswahl erleichtern könnten. Bücher sind eben Erfahrungsgüter, ihre Qualität lässt sich schlecht im Vorhinein ermitteln. Um das Risiko beim Kauf zu reduzieren, eignen sich verlagsseitig statt Buchhandels- eher Publikumswerbung und das Aufgreifen von Trends wie Communities, Crowdsourcing oder Handyliteratur, die den veränderten Lesegewohnheiten Rechnung tragen. Videos als Elemente viraler Kampagnen und kreative Preis- und Vertriebsstrategien auf der Basis von Free Content werden ebenfalls thematisiert.

In Bezug auf das Schreiben geht es um die Spezifika von »Literatur im Netz« und »Netzliteratur«, um verschiedene Autorenkonzepte und Formen der Kollaboration. Die Autoren selbst sind gefordert, »je nach Stil und Motivation« das Netz auch zur Selbstdarstellung zu nutzen – über die eigene Website als Publikationsort (Elfriede Jelinek), Kommunikationsort (Sibylle Berg), Serviceangebot (E. L. James) oder über Blogs.

Perfektes Rollenspiel

Ebenfalls von Anna Pirhofer ist das Kapitel »Fernsehen & Literatur – eine schwierige Beziehung«. Nach einem Überblick über die Medientheorien sind Unterkapitel dem Textmedium Buch und dem Bildmedium Fernsehen gewidmet, zur formalen Analyse kommen eine konstruktivistische und eine mediologische Betrachtung dieser Medien im Wandel von der Grafo- zur Videosphäre hinzu (nach Régis Debray). 

Wie tritt das Buch im Fernsehen auf? Die Bandbreite ist groß und ergibt eine Vielzahl von »Bühnen«, je nach TV-Format, von der Literaturverfilmung über Serien, Literatur- und Kulturmagazine bis hin zu Werbespots und Buchtrailern.

Und wie steht es um die Beziehung zwischen Autor und TV? Den Ausführungen zur Geschichte der Autorschaft und zu neuen Rollen des Autors im Fernsehen folgt der Hinweis auf die »autobiographische Wende in der Literatur«. Der Autor ist aufgerufen, sich für eine Rolle zu entscheiden. Je spektakulärer der Auftritt, desto besser für die Marke, zu der notwendigerweise eine Geschichte gehört. Ziel ist eine »authentische Inszenierung der gewählten Rolle«, die jedoch mit Bedacht zu wählen ist, wie am Beispiel von Charlotte Roches Feuchtgebiete gezeigt wird. »Der Autor im Fernsehen muss eine neue Identität entwickeln und diese zwischen Spektakularisierung, Autobiographisierung und Markenmanagement aufrechterhalten und gestalten.«

Multitexte im narrativen Universum

Sophie Rudolph schreibt über »Storyselling: kulturelle Ökonomien der Literaturverfilmung«. Sie wählt eine kultursoziologische, prozessorientierte Perspektive und widerspricht eingangs gängigen Mythen über die Buch- und die Filmindustrie: Buch und Film seien Komponenten einer einzigen globalen Unterhaltungsindustrie, nicht nur Literatur sei adaptierbar, sondern (fast) jeder Stoff, und literarisches Prestige stehe der Kommerzialisierung keineswegs entgegen.

Wie ändert sich der Begriff der Autorschaft beim Film? Prinzipiell verteilt sie sich auf verschiedene Funktionen. Der Drehbuchautor kann als »kreatives Zentrum der Filmgestaltung« mit dem Regisseur und dem Produzenten konkurrieren, es sind mehrere Konstellationen möglich. Beim Autorenfilm wird der Regisseur als Autor zentral vermarktet.

Der literarische Autor fungiert in der Adaptionsindustrie vor allem als Ankerfigur für die Verwertung seiner Urheberrechte. Folglich gewinnen Literaturagenten an Bedeutung. Als »Stakeholder« wachen sie über den Handel mit Rechten und Lizenzen, der eigentlichen Währung der Adaptionsindustrie. Buchmessen und Filmfestivals werden hier zu »›Maschinenräumen der Adaption‹«. Am Beispiel von Books at Berlinale (2011) und anderen Vernetzungsangeboten stellt die Verfasserin Wege vom Buch zum Film dar. Bei der Visualisierung erfolgreicher Texte in Spielfilmen kommt es zu einem Markentransfer; dagegen müssen Independentfilme auf andere Strategien setzen, das wird anhand eines Romans aus dem Verlag Jung & Jung ausgeführt.

Im Unterkapitel zum »Markt der Literaturverfilmungen im Kino« geht es um die Frage, wie das Literarische zu einer Form des visuellen Entertainments geworden ist. Interessanterweise tragen literarische Verweise auf vielen Ebenen zur Popularität von Verfilmungen bei. So bei Bridget Jones und den Bezügen zu Stolz und Vorurteil, etwa in der Figur von Mark Darcy, aber auch in der Besetzung der Rolle mit Colin Firth, der vorher bereits in einer Jane-Austen-Verfilmung zu sehen war. Um deren Romane herum hat sich eine »taste community« gebildet. Sie ist Teil einer Markenstrategie, die unter anderem auf das Image von Schauspielern setzt; Klassiker und Lesen werden zum Modetrend stilisiert, Wiedererkennen schafft Orientierung.

Gut beobachten lässt sich diese Strategie bei der Produktions- und Verleihfirma Miramax, sie hat sich mit zahlreichen Kultfilmen profiliert und das Genre Literaturverfilmung »neu erfunden«, zum Beispiel mit The Hours (2002). Miramax wurde selbst zur Marke. Ihre Filme funktionieren wie »franchised multitexts« in einem narrativen Universum, das in einzelne Bausteine zerlegt und neu zusammengesetzt werden kann. Mit diesem Bild verbindet die Verfasserin am Ende die Forderung, die Trennung zwischen Hoch- und Populärkultur aufzuheben und »eine Art übergreifendes ›Content-Marketing‹« zu entwickeln.

Fazit

Gerade das letzte Kapitel bringt spannende Aspekte und Beispiele für Buchmarketing im kulturellen Bereich des Films. Insgesamt geben die Studien wertvolle Denkanstöße und zeigen Handlungsspielräume für Akteurinnen und Akteure am Buchmarkt auf. Auch wenn vieles davon nicht neu ist, lohnt sich die Lektüre dieses 2015 erschienenen Werks unbedingt.

Aus Lektoratssicht ist zu bedauern, dass die Texte offenbar nicht Korrektur gelesen wurden. Schade, das passt nicht zum professionellen Auftritt. Auch hätte ich mir Kurzviten der Autorinnen gewünscht. Und ein Register.

 

»Was bleiben wird, ist auf jeden Fall ein offenes Meer der Geschichten. Die Schiffe, mit denen man darauf navigiert, werden sich in Zukunft verändern, nicht aber das, was sie transportieren, wovon und womit sie handeln.«
(Sophie Rudolph)

 

Vermarktungsstrategien für das Buch im multimedialen Raum. Eine interdisziplinäre Untersuchung
Hrsg. Vincent Kaufmann unter Mitarbeit von Tobias Heinisch
Buchwissenschaftliche Beiträge 90
Wiesbaden: Harrassowitz Verlag, 2015
Paperback, 238 Seiten, zahlr. Abbildungen und Tabellen
ISBN 978-3-447-10355-8, 52,00 Euro

 

Zum Weiterlesen:

Rezension: Bestseller und Bestsellerforschung
Rezension: Das Bestseller-Phänomen

 

 

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