Rezension: Georg Kessler, Der Buchverlag als Marke
Ratgeber – vom Schmuddelkind zum Musterknaben
»Die Ratgeberliteratur hat einen sehr schlechten Ruf. Zumal unter Intellektuellen gibt es Leute, die sofort brüllen, wenn sie das Wort nur hören.« (Ursula März, »Den Rücken gerade«, Die Zeit, 24.7.2014)
Zur Geringschätzung des Genres Ratgeber gibt es gar keinen Grund. Spätestens nach der Lektüre von Georg Kesslers Werk Der Buchverlag als Marke ist klar: Es handelt sich um eine hochartifizielle Komposition aus Text, Layoutelementen und Ausstattungsoptionen, »deren Zusammenspiel den gestalterischen Reiz des Genres verkörpert«.
Der Autor weiß, wovon er spricht. Er war Programmgeschäftsführer bei Gräfe und Unzer, Mitbegründer des Arbeitskreises Ratgeber, AkR, unter dem Dach des Börsenvereins (2004) und setzte sich maßgeblich für die Einführung der Focus-Ratgeber-Bestsellerliste ein (2007). Auf Betreiben des AkR bekamen Ratgeber eine eigene Warengruppe, getrennt vom Sachbuch, und erwiesen sich mit ihrem Marktanteil von 16,64 % prompt als »zweitwichtigste Literaturgattung hinter der Belletristik« (2007).
In seiner 2013 erschienenen Dissertation untersucht Georg Kessler am Beispiel der Ratgeberliteratur das Phänomen Buchmarke, dessen Bedeutung er ebenfalls für stark unterschätzt hält. Er möchte »Impulse und Anhaltspunkte für Strategie und strategische Grundausrichtung von Buchverlagen« geben, die sich der Markenthematik verschrieben haben. Dabei stehen im Fokus die drei Branchengrößen Gräfe und Unzer, Kosmos und Ulmer.
Das erste der sechs Hauptkapitel führt in den »Ratgebermarkt Deutschlands« ein (S. 13–43). Es gibt eine Abgrenzung vom Sachbuch, präsentiert die jüngste Geschichte des Ratgebergenres, liefert eine gattungstheoretischen Grundlegung mit Analyse der fünf wichtigsten Subgenres sowie einen Exkurs zum literarischen Feld.
Vor und hinter der Fassade
Interessante Einblicke ergeben sich in viele Richtungen. Beispielsweise zum Einfluss multiauktorialer Urheberschaft und konzeptueller Verlagsleistung auf die Autorenhonorare oder zur Genretranszendenz durch narrative Verfahren wie etwa in Lebenshilferatgebern. Ein klares Bekenntnis geht an den Text: »[…] gerade hinter der textlichen Dimension verbergen sich nicht selten die Qualität und Seriosität des Ratgeberspezialisten. Denn oft entpuppen sich die Brillanz und Begehrlichkeit hochsuggestiver Fotografie und veredelter Layouts bei näherem Hinsehen nur als angestrahlte Fassade, hinter der ein schlecht bearbeiteter, sachlich fehlerhafter Text sein Hinterhofdasein fristet.« Es müssen eben alle Bausteine das Qualitätsversprechen einlösen.
Das Großkapitel »Zur Poetik des Ratgebers« (S. 45–116) liefert eine literatur-, sprach- und buchwissenschaftliche Annäherung an die Gattung und klassifiziert Textsorten beziehungsweise -typen. In jeder Richtung sieht der Autor Forschungsdesiderate. Vor allem fehle eine visuelle Poetik für das Genre mit seinen vielfältigen Kompositionsmustern aus Bild und Text. Bei den Spezifika der Manuskriptarbeit weist er darauf hin, dass durch Style Sheets, Layoutvorgaben et cetera »in der Regel ganz erhebliche sprachliche und stilistische Bearbeitungen vonnöten [seien], die so weit gehen können, dass das Buch am Ende vom Redakteur geschrieben wurde«.
Bemerkenswert auch das Unterkapitel zu Gérard Genettes Paratexte (1987) sowie die Ausführungen zu typischen Textbausteinen und -mustern: Von Überschriften über Kolumnentitel bis zu Übungen werden zwanzig verschiedene Elemente vorgestellt, durchaus gedacht als »Kleine Schreibschule für die Praxis«.
Damit nicht genug: Im Hinblick auf eine noch zu schaffende Markenpoetik werden Stephan Porombkas Regeln zum Schreiben eines »verdammt guten Sachbuchs« (2007) zitiert und auf ihre Relevanz für Ratgeber hin untersucht. Ein weiteres Regelwerk kommt mit Robin Hosies The Blurb-Writer’s Manual ins Spiel (1993). Es führt anschaulich vor, wie »Sprache zur Stimme der Marke« wird und Zielgruppen zu Stilgruppen mutieren.
Am Beispiel von Gräfe & Unzer zeigt der Autor im Detail, wie Corporate Language und Content Manual in einem Buchverlag erarbeitet und umgesetzt werden. Für die Sprache innerhalb der »Produkte« gelten dabei andere Vorgaben als für die Außenkommunikation, deren Leitlinien ebenfalls in einem eigenen Manual festgeschrieben werden. Alles im Sinne der Corporate Identity.
Alles unter einer Klammer
Das nächste Kapitel ist dem Thema »Produktgestalt und Formensprache« gewidmet (S. 117–158). Zuerst stehen einige Ansätze aus buch- und markensemiotischer Sicht im Fokus, etwa die Typologie von Text-Bild-Beziehungen nach Winfried Nöth. Schrift-, Umschlag- und Einbandgestaltung erlauben Aussagen darüber, wie Inhalte (mehrfach) kodiert werden. Die Marke als Hyper-Zeichen sendet »nicht nur funktionale Signale wie etwa Anweisungen zum Gebrauch aus, sondern semantisiert auch eine Vertrauensleistung, die ihrer polysemiotischen Codierung entspricht.«
So betrachtet wird das Produkt Buch zu einem Ensemble von Merkmalen, die unter der Klammer einer bestimmten Markenidentität vor allem auf Distinktionsgewinn abzielen. Marke ist Unterscheidung. Welche Rolle dabei die »handerotischen Buchkomponenten« spielen können, möchte der Autor noch genauer untersucht wissen. Er geht ausführlich auf die Gestaltung des Produktauftritts ein, deren Richtlinien im Design Manual niedergelegt sind, dem »Navigationsinstrument für die formale Markenführung«. Neben der Wiedererkennbarkeit sichert es beispielsweise Kostenvorteile durch Verwendung bestimmter Formate. Angelehnt an die Design Manuals bei Kosmos, Ulmer und GU werden verschiedene grafische Komponenten genauer betrachtet, etwa die Anatomie des Umschlagentwurfs oder das Layout als dramaturgisches Gesamtkonzept.
Während der Autor die Fülle an Inszenierungsmöglichkeiten hervorhebt und daraus für Ratgeber einen formalen Geltungsanspruch gegenüber konkurrierenden Genres ableitet, verweist er am Ende des Kapitels darauf, dass zum Konzept der Marke auch die Offenheit für Variation und Anpassung gehört. Sie drückt sich in regelmäßigen Relaunchzyklen aus.
Das kurze Kapitel zum »Buchprogramm der Marke« (S. 159–179) führt in den Bereich der Programmpflege und -entwicklung ein. Über das Verhältnis zwischen Backlist und Novitäten sowie zwischen Reihen- und Einzeltiteln kommt der Autor zur Systemtheorie und zur Frage, wie sich strukturelle Innovation bei der Buchentwicklung operationalisieren und in die Alltagswirklichkeit des Verlags überführen lässt.
Hierfür hat er eine dreidimensionale Programmpyramide entwickelt, die »die dauerhafte Evolution und Wettbewerbsfähigkeit des Verlags« sichern soll. Das Modell verknüpft fünf Stufen, von den Schnelldrehern bis zu den Spitzen- und Signaltiteln, mit den Dimensionen von Geschmack, Ökonomie und Nachfrage. Was die Klassifikation dieser Pyramide für die Praxis bedeutet, wird anhand von fünf Subgenres ausgeführt.
Wer ist der Star?
Im Kapitel »Markenpolitik im Ratgebersegment« (S. 181–244) thematisiert der Autor noch einmal die Relevanz der Markenthematik für das Verlagswesen. Ist nicht vielmehr der Autor der Star, über dessen Namen die stärksten Markierungsleistungen erfolgen?
Er untersucht die Profilierungsansätze der größten Ratgeberverlage in den zurückliegenden 20 Jahren. Auf Umsatzrückgang, verfehlte Programmpolitik und »Imprinteritis« folgte eine Stabilitätsphase im Ratgeberbereich. Eingegrenzt auf etwa ein Dutzend Unternehmen wird das Spektrum, wie es sich 2011 darstellte, kurz charakterisiert. Eine kleine Verlagskunde. Im Ergebnis, so der Autor, handelte es sich bei den Bemühungen jedoch nicht um Markenbildungsmaßnahmen, denn es fehlte ihnen an strategischer Nachhaltigkeit. Ernsthaft und mit den notwendigen Investitionen, zum Beispiel in den Einsatz einer Leadagentur, hätten diesen Weg lediglich vier Verlage eingeschlagen – Gräfe und Unzer, Kosmos, Ulmer und BLV. Die Aktivitäten der beiden Letzteren werden kurz skizziert.
Ausgiebig vorgestellt, auf fast 30 Seiten, wird der Weg von Gräfe und Unzer zur Verlagsmarke, mit der kundenorientierten Basisstrategie der Empathie und der »Markensonne« GU. Gut 20 Seiten sind dem Kosmos Verlag gewidmet und seiner Markenentwicklung, auch im Unterschied zu GuU. Resümierend findet der Autor einen »höheren Reifegrad der Markenführung« bei GuU, jedoch sei das Kosmos-Programm breiter strukturiert und thematisch individueller besetzt, es folge dem verlegerischen Prinzip der Nähe als Wissensvermittler und Ratgeber.
Das Kapitel zu »Markenführung und Markenschutz« schließlich präsentiert Instrumente der Markenführung und ihre Orchestrierung, ausgehend von der Markenidentität. Es folgen Hinweise zu den juristischen Rahmenbedingungen des Marken- und Geschmacksmusterschutzes. Ein Beispiel für markenkonformes Handeln nach innen, Behavioral Branding, zeigt, wie schwierig es ist, Konzepte der Markenführung in angemessener Form zu vermitteln. Bei GuU wurde 2006 eine »Markenverfassung« eingeführt, von der jeder Mitarbeiter ein personalisiertes Exemplar erhielt. Das 116-Seiten-Werk stieß aber auf Widerstände und Kritik.
Die Zusammenfassung rundet das Ganze ab. No-Brand-Fraktion gegen das vermeintliche »Joch einer der Konsumgüterindustrie entlehnten ›Markenphilosophie‹«, eine »verkrustete Wahrnehmung der Buchgenres«, insbesondere des Ratgebers – dagegen stellt der Autor seinen zentralen Befund: Marken können Leser langfristig binden und üben auch in der Verlagslandschaft aufgrund ihrer Orientierungs- und Vertrauensfunktion erhebliche Strahlkraft aus.
Wie sich Orientierung und Vertrauen gezielt aufbauen lassen, darüber macht diese Studie spannende Aussagen. Fragen der Digitalisierung werden nur am Rande erwähnt. Aber wer sich für die Mechanismen des Buch- respektive Ratgebermarkts interessiert, liest das Buch mit großem Gewinn.
Georg Kessler, Der Buchverlag als Marke. Typik und Herausforderungen des markengeprägten Publizierens am Beispiel der Ratgeberliteratur Deutschlands
Buchwissenschaftliche Beiträge 87
Wiesbaden: Harrassowitz Verlag, 2013
Paperback, 292 S.
ISBN 978-3-447-10101-1, 52,00 Euro
Erschienen auch auf dem Lektorenblog.