Rezension: Birgit Dankert, Michael Ende. Gefangen in Phantásien
Gaukler, Schnurpsen und der Wunschpunsch – was wir über Michael Ende (nicht) wissen
Als Kinder- und Jugendbuchautor ist Michael Ende (1929–1995) auch international ein Begriff, nicht zuletzt wegen der Verfilmungen von Momo und Die unendliche Geschichte. Wie er zum Weltstar wurde, warum er sich gründlich missverstanden fühlte und was sonst noch alles in ihm steckte, erzählt Birgit Dankert in ihrer aktuellen Biografie des Schriftstellers. Die emeritierte Professorin für Bibliothekswesen und Expertin für Kinder- und Jugendliteratur öffnet uns den Blick »auf das vielfältige Leben und das komplexe Werk« von Michael Ende. Und das liest sich ungeheuer spannend. Zugleich spiegeln sich in der Beschreibung nicht nur Szenen deutscher Geschichte im 20. Jahrhundert, sondern auch Prozesse der Edition und Rezeption literarischer Werke.
In sieben Kapiteln von der »Kindheit im Künstleratelier« bis zu »München und Japan« entfaltet sich das Bild eines Künstlers durch und durch, Schwarzweißfotos illustrieren verschiedene Stationen. Außer Vor- und Nachwort, zwei Registern und mehreren Verzeichnissen (Literatur, Preise, Werke) enthält das Buch Inhaltsangaben wichtiger Texte und Auszüge daraus sowie Zeugnisse von Kritikern und Weggefährten. Eine wunderbare Lektüre, um diesen Autor ganz neu zu entdecken.
Auf Umwegen zum Erfolg
Seine ersten dreißig Lebensjahre waren geprägt von scharfen Gegensätzen: materielle Armut und inspirierende Beziehungen, Nazi-Pädagogik und Anthroposophie, Ausgrenzung und Weltoffenheit – eine dramatische, wilde Zeit, über die er schrieb: »[…] ich bin viel und häufig abgelehnt worden, bis zu meinem 30. Jahr überhaupt nur und von allen Seiten«.
Schon früh verfasste Michael Ende Lyrik, Lieder, Dramentexte. 1947 veröffentlichte er das Gedicht »Der Gaukler«; ab 1949 nahm er Schauspielunterricht an der Münchner Otto Falckenberg Schule. Seine Affinität zum Theater und zur Regiearbeit begleitete ihn zeitlebens, ebenso wie die Liebe zur Musik. Doch Birgit Dankert dokumentiert, wie sehr er sich auf diesen Gebieten immer wieder als gescheitert empfand. Der vielseitig begabte, aber erfolglose junge Autor fand in Ingeborg Hoffmann, seiner späteren Frau, eine kluge Mentorin, die ihn bis zu ihrem Tod 1985 auch künstlerisch unterstützte.
Mit Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer (ersch. 1960, Dt. Jugendbuchpreis 1961) wendete sich das Blatt. Entstehungs- und Editionsgeschichte lesen sich wie ein Krimi. Erst nach eineinhalbjähriger Suche fand sich ein Verlag: Thienemann wurde zum sicheren Hort für den Schriftsteller, die Verleger retteten ihn viel später sogar vor dem drohenden finanziellen Ruin.
Ringen um Anerkennung
Nach dem Tod des Vaters 1965 setzte Michael Ende sich aktiv mit dessen malerischem Werk sowie mit surrealistischen Elementen im eigenen Schaffen auseinander. Er machte einen neuen Versuch, sich als Dramatiker zu etablieren, aber das 1967 uraufgeführte Theaterstück Die Spielverderber fiel beim Publikum durch. Das Schnurpsenbuch, eine bis heute beliebte Lyriksammlung für Kinder, kam 1969 heraus. Mit dem Umzug nach Italien 1970 folgte eine künstlerisch überaus fruchtbare Periode – Momo entstand und wurde 1974 mit dem Deutschen Jugendbuchpreis ausgezeichnet.
In diese Zeit fiel auch der Beginn der sogenannten Eskapismus-Debatte. Während Kritiker Michael Endes Werken vorwarfen, sie seien reaktionär und dienten der Wirklichkeitsflucht, verteidigte der Autor den Sinn magischer Welterfahrung. Der öffentlich ausgetragene Diskurs schärfte die Wahrnehmung von Spezifika fantastischer Literatur und leitete die (Wieder-)Etablierung des Genres ein.
Neben der Rückbesinnung auf Märchen und Mythen förderten Michael Endes Bestseller ein weiteres Phänomen auf dem Buchmarkt: All-Age-Bücher, die durch das Auflösen von Altersgrenzen eine enorme Breitenwirkung erzielen. Paradebeispiel dafür ist Die unendlichen Geschichte, nach ihrem Erscheinen 1979 wurde Michael Ende selbst zur Kultfigur.
Raus aus dem Elfenbeinturm
Ausführliche Erwähnung findet die jahrelange Kontroverse um die Drehbuchadaption und den damals »teuersten Film aller Zeiten« (1984) – ein aufregendes Kapitel über die Mechanismen von Literaturverfilmungen. Man einigte sich schließlich und der Autor verstärkte fortan sein kulturpolitisches Engagement. Birgit Dankert macht hier ein gravierendes Missverständnis bei Michael Ende aus. Er habe sein eigenes ästhetisch-philosophisches Programm der absichtslosen Kunst hintangestellt, um die Erwartungen des Publikums an gesellschaftskritische Züge in seinem Werk zu erfüllen.
Der Starautor trat als Gastredner vor Managern auf, führte Anfang der 80er-Jahre mit Erhard Eppler einen Literaturdialog über Jugendfragen und diskutierte 1985 mit Joseph Beuys über einen erneuerten Kunstbegriff. Die Resonanz auf diese und ähnliche Aktionen war mäßig bis negativ. Doch zeigen sie eines deutlich: Michael Endes Platz war nicht der Elfenbeinturm. Er mischte sich ein, überschritt Grenzen, provozierte. In der engen Zusammenarbeit mit anderen Künstlern, etwa mit der Illustratorin Roswitha Quadflieg oder dem Komponisten Wilfried Hiller, erschloss er sich neue Wirkungsfelder, im direkten Austausch mit seinen Lesern fand er Bestätigung.
Ende der 80er-Jahre entstand Der satanarchäolügenialkohöllische Wunschpunsch, ein Kinderbuch, das 1990 als »Zauberposse mit Musik« vertont wurde. Es enthält die Figur des Büchernörgele, eine bissige Reverenz an Marcel Reich-Ranicki, wohl aus verletztem Stolz.
An solchen Fundstücken ist diese Biografie reich, sie bringt uns Michael Ende in vielen Facetten nah: mit seinen Widersprüchen, Zweifeln, aber vor allem immer wieder mit seiner spielerischen Freude am Erfinden und Fabulieren. Das bleibt – auch wenn er kurz vor seinem Tod gesagt haben soll: »Ich habe immer das Gefühl, das eigentliche Buch muss ich noch schreiben.«
Birgit Dankert, Michael Ende. Gefangen in Phantásien
Lambert Schneider Verlag/WBG, 2016
Hardcover mit Fadenheftung und Lesebändchen
312 S. mit 19 Abbildungen s/w, Bibliografie und Register
ISBN 978-3-650-40122-9, 24,95 Euro
Kurzfassung auch als Buchtipp auf www.buecherfrauen.de
Hörbuchtipp:
Die Welt des Michael Ende. Geschichten und Gedanken über Freiheit, Fantasie und Menschlichkeit
steinbach sprechende bücher, 2009
2 CDs, 152 Min.
ISBN 978-3-88698-468-8, 19,99 Euro