Interview: Mit dem neuen Roman nach Leipzig
Yvonne Richter über Lui, Lovis und das Malen mit Worten
Yvonne Richter schreibt. Ihr zweites Jugendbuch Casting. Spiel ums Leben stellt sie auf der Leipziger Buchmesse* vor. Genauso ist sie aber in der bildenden Kunst zu Hause, und ich finde, das merkt man ihren Geschichten an. Dazu wollte ich ihr schon lange ein paar Fragen stellen.
Was bedeutet es Dir, Geschichten zu erzählen?
Es ist herrlich, ich darf in Fantasiereiche reisen, ganz ohne Grenzen und Mauern. Zum Beispiel in die »Draußenwelt«. Dorthin ist Lui vor dem Kontrollwahn in der hypermodernen Isi-Gesellschaft geflüchtet. Er trifft auf eine abenteuerliche Mischung von Figuren, die ich im Roman wunderbar verbinden kann: Von den redegewandten Redlingern geht es durch den Zaubergarten der Monaten zur Bürokratenhochburg Turmamberg und an viele andere Orte. Überall lernt Lui etwas dazu, um am Ende eine wichtige Aufgabe zu lösen. Seine Reise bildet den roten Faden, und wenn ich schreibe, bin ich selbst mittendrin.
Wann hast Du angefangen zu schreiben?
Ich habe als Kind viel gedichtet, so etwa bis ich zwölf war. Die Pubertät mit all der Furcht vor der Peinlichkeit bereitete dem ein jähes Ende. Vor acht Jahren fing ich an, Geschichten für Kinder zu schreiben.
Welche Rolle spielt die Sprache für Dich?
Für die Szenerie und die Handlung meiner Geschichten ist der Wortschatz elementar, ebenso für die Figuren. Ich arbeite gern mit sprechenden Namen. So heißen die sympathischen Rüpel, die Lui helfen, Machmut, Erdmute oder Wismut. Um die Figuren herum entsteht eine quicklebendige, sinnenfrohe Bilderwelt und ich versuche, die Sprache fein darauf abzustimmen.
Außerdem erfinde ich furchtbar gern neue Wörter. Als Lui in Elektrikstädt landet, wird er als Elektrottel beschimpft, aber das ist furzfunkegal. In meinem Zukunftsroman Casting über die Wettbewerbsgesellschaft gibt es die zickige Jurorin Folta Kräh. Die Kandidaten heißen Castidaten und Lovis und seine Freunde schlafen notfalls in einer Hutze, einer Mischung aus Zelt mit Kapuze und Hütte.
Feder oder Pinsel – welches Werkzeug ist Dir näher?
Mit dem Pinsel bin ich groß geworden, der liegt mir in der Hand wie ein elfter Finger. Aber genauso gab es bei uns zu Hause immer die Lust an der Sprache und an Sprachspielereien. Das gehört für mich zusammen. Mein Vater hat gern Unfug gedichtet, was wir begeistert aufsogen: »Der Pope tobt berobt im Dome und treibt den Pöbel zum Pogrome!« Er beherrschte das altertümliche Mittelhochdeutsch aus dem Effeff und wir Kinder liebten Geheimsprachen: »Dulufu halafast nelefen Vologelefel!«
Wie beim Zeichnen oder Illustrieren habe ich beim Schreiben zuerst das Grundthema – etwa Selbstbestimmung oder bei meinem neuen Buch Verantwortung füreinander. Dann entwerfe ich den Plotplan und die Hauptfiguren und sehe die Fantasy-Geschichte bereits als Film ablaufen. Szene um Szene entsteht, Details und »Farben« kommen hinzu, bis das Gesamtbild passt. Jedes Wort ein Pinselstrich.
Wie findest Du Deine Themen und Figuren?
Bei der Arbeit im Kinder- und Jugendmuseum begegnen mir manchmal Motive, die ich übernehme, aber vor allem finde ich dort viel Hintergrundwissen. Als wir ein Regenwaldhaus bekamen und uns sehr viel mit dem Regenwald beschäftigten, wurde das die Vorlage für die mächtigen Megantowälder, in denen Lui mit seinen Freunden Unterschlupf sucht.
Wo schreibst Du am liebsten?
Draußen, im Garten, in der Landschaft. Oder zumindest mit dem Blick nach draußen. Wenn es sich einrichten lässt, sitze ich am liebsten in meiner »Schreibklause« in Südfrankreich, wo meine Familie ein kleines Haus hat. Da bin ich abgeschottet von Fernsehen und Handy (kein Netz!). Dort haben sich auch schon einige Figuren oder Schauplätze aus den Tiefen der nebeligen Täler gelöst und sind direkt in meine Bücher gewandert: im Lui die Landschaft nach seiner Flucht samt Wildschwein, in Casting Hotte, Triton und das verwunschene Neuwheyl, zu dem mich die Künstlerkolonie Villeneuvette um eine alte Leinenfabrik inspiriert hat.
Hast Du eine Lieblingsfigur oder -szene?
Mehrere! In Casting zum Beispiel Triton, der so sonderbar und poetisch ist. Auf seine fast schrullige Art sieht er Dinge voraus oder gibt sinnvolle Ratschläge. Eine Szene mag ich besonders: Wenn die drei Spione aus dem Spürnasencasting den Ausbrechern auf der Spur sind, aber nichts entdecken, weil sie so perfekt getäuscht werden.
Und was liest Du zurzeit?
Von Timothée de Fombelle, einem wunderbaren Kinder- und Jugendbuchautor aus Frankreich, Tobie Lolness. Die Augen von Elisha auf Deutsch und Vango. Un prince sans royaume auf Französisch.
Yvonne Richter, Jahrgang 1956, baute nach dem Kunststudium in München und einer Station als Kunsterzieherin das erste mobile Kindermuseum in Deutschland mit auf. Sie war als Figurentheaterspielerin und Performancekünstlerin unterwegs und arbeitet beim Kinder- & Jugendmuseum Nürnberg. In ihren Geschichten verbinden sich hintergründiger Humor und Toleranz mit einem scharfen Blick auf unsere Gesellschaft. Casting. Spiel ums Leben ist ihr zweiter Roman bei Fabulus.
* Lesung auf der Leipziger Buchmesse
Sonntag, 26.03., 15:00–15:30 Uhr, Lese-Treff, Halle 2, Stand F312/G312
Casting. Spiel ums Leben
Geb., 15 x 21,4 cm, 296 S.
Lesebändchen, Farbschnitt
ISBN 978-3-944788-28-9, 16,95 Euro
Lui in der Draußenwelt
Geb., 15 x 21,4 cm, 270 S.
zahlr. Illustrationen, Lesebändchen, Farbschnitt
ISBN 978-3-944788-18-0, 19,95 Euro
beide Fellbach: Fabulus Verlag, 2016, ab 10 Jahren