Dostojewskis Dämonen

Besuch in Baden-Baden

Marion Voigt am Dostojewski-Denkmal in Baden-Baden

Am 11.11.1821, vor 203 Jahren, wurde Fjodor Michailowitsch Dostojewski geboren. Seine Romane gehören zur Weltliteratur, sein Leben war voller grandioser Aufstiege und tiefer Abstürze. Eine zwiespältige Persönlichkeit. Das wurde mir bei der Recherche zu Verheißung und Dekadenz erst wieder klar.

Der frühe Erfolg mit seinem Erstling Arme Leute, die Verhaftung wegen angeblicher »Verbrechen gegen den Staat« und die Beinahe-Erschießung als Achtundzwanzigjähriger: Bei minus einundzwanzig Grad warteten die ersten Delinquenten auf den Tod, an Pfähle gefesselt, mit Kapuzen über dem Kopf. In letzter Sekunde erfolgte die Begnadigung. Die Urteile wurden in Zwangsarbeit und Verbannung umgewandelt.

Im fernen Omsk saß der Sträfling vier Jahre im Lager, ein »unaussprechliches, endloses Leiden«. Erst weitere sechs Jahre später durfte er nach St. Petersburg zurückkehren. Aber anstatt mit der erlittenen staatlichen Willkür zu hadern, hatte er sich ganz der Gnade des Zaren ergeben, war »vom Revolutionär zum staatsfrommen Patrioten« geworden.

Geldnot und Spielsucht

Es folgte eine lange Zeit, in der Dostojewski versuchte, sich als Redakteur und Schriftsteller eine Existenz aufzubauen, immer begleitet von Geldnot und drückenden Schulden. Er reiste ins Ausland und kam 1863 auch nach Baden-Baden, um Roulette zu spielen. An seinen Bruder schrieb er:

»Ich brauche Geld, für mich, für dich, für meine Frau, um einen Roman zu schreiben. Hier kann man spielend Zehntausende gewinnen. Ich bin gefahren, um euch alle zu retten und mich selbst aus dem Elend zu befreien.«

Die Spielsucht stürzte ihn erst recht in größte Not. Von dem fieberhaften Spekulieren auf einen immer noch höheren Gewinn, dem Riskieren der letzten Ressourcen, dem Selbstbetrug, jederzeit aufhören zu können, erzählt Dostojewski im Spieler. Der Roman, dessen Handlung teilweise in Baden-Baden angesiedelt ist, nimmt manches vorweg, was Dostojewski im folgenden Sommer 1867 selbst durchlebte und was seine (zweite) Frau, Anna Grigorjewna, in ihrem Tagebuch festhielt. Eines Abends fand sie ihn am Roulettetisch, »hochrot, mit blutunterlaufenen Augen, wie betrunken«.

Die beiden wohnten in einem günstigen Quartier über einer Schmiede. Zur selben Zeit hielten sich Iwan Gontscharow und Iwan Turgenjew in dem Schwarzwaldbad auf. Gesellschaftlichen Umgang pflegte Dostojewski nicht mit ihnen, das ließen seine prekären Verhältnisse nicht zu. Aber dem Kollegen Turgenjew, der sich sogar in dem mondänen Kurort niedergelassen hatte, machte er seine Aufwartung, denn er schuldete ihm noch Geld.

Rivalität mit Turgenjew

Dieser Besuch ist aus verschiedenen Gründen denkwürdig. Neben dem Schlaglicht, das er auf die zeitgenössische Debatte zwischen Westlern und Slawophilen wirft, findet er Eingang in Dostojewskis Roman Die Dämonen.

Vor dem breit angelegten philosophisch-psychologischen Hintergrund des 1872 erschienenen Werks wirkt es wie ein unscheinbares Detail, aber es sagt viel über den Autor aus: Eine der Nebenfiguren, der »große Schriftsteller« Semjon Jegorowitsch Karmasinow, hat als Vorbild keinen anderen als Iwan Turgenjew. Und er kommt gar nicht gut weg:

Karmasinow frühstückt gerade, es gibt wie jeden Morgen bei ihm Fleischklößchen, dazu ein halbes Glas Rotwein und anschließend ein Tässchen Kaffee. Der Schriftsteller trägt einen wattierten Hausrock mit Perlmuttknöpfen, der um seinen Wohlstandsbauch spannt und nur knapp bis zu den fülligen Oberschenkeln reicht; über den Beinen liegt eine karierte Wolldecke, obwohl es im Zimmer warm ist. Er spricht mit schriller Stimme, dabei betont er behutsam jedes Wort und lispelt vornehm. Im Verlauf des Besuchs doziert er über den Verfall Russlands und sagt: »Ich bin Deutscher geworden und rechne mir das als Ehre an.«

Dostojewski stellt den hoch angesehenen Schriftstellerkollegen als lächerliche Figur dar, ehrgeizig, eingebildet, mäßig talentiert. Seine Leserinnen und Leser konnten unschwer erkennen, wer da so genüsslich parodiert wurde.

Ruhm und russischer Nationalismus

In den letzten zehn Jahren seines Lebens wuchs Dostojewskis Ansehen als Schriftsteller enorm. Er genoss die Gunst allerhöchster Kreise und wurde zur moralischen Autorität, trotz seiner offen antisemitischen Haltung. Wenige Monate vor seinem Tod 1881 war er einer der Hauptredner bei der Puschkin-Feier in Moskau – neben seinem Rivalen Turgenjew. Während dieser zeitlebens als Kosmopolit und Brückenbauer zwischen Ost und West auftrat, betonte Dostojewski das Trennende. In seiner Rede beschwor er Puschkins Genius.

»Hätte er länger gelebt, hätte er vielleicht unvergängliche und großartige Bilder der russischen Seele geschaffen, die unsere europäischen Brüder verstehen würden, hätte uns einander viel näher gebracht, als wir es jetzt sind […], und sie würden uns viel besser verstehen als jetzt […], sie würden aufhören, uns so misstrauisch und von oben herab zu betrachten, wie sie es jetzt noch tun.«


Interview zum Buch

»Wo sich Pariser Flair mit dem Charme der Provinz mischte …«: Eine Kulturwanderung mit Marion Voigt
Danke an Dr. Alexandra Hildebrandt für die Interviewfragen!

Musikalische Lesung und Buchvorstellung in Nürnberg

Mittwoch, 27. November 2024, 19.00 Uhr
Literaturzentrum Nord, KUNO e. V., Wurzelbauerstraße 29, 90409 Nürnberg
Am Klavier: Heinrich Hartl.
Hier geht’s zur Anmeldung.

Marion Voigt, Verheißung und Dekadenz
Baden-Baden und die russische Literatur im 19. Jahrhundert

Biografische Skizzen, Freiburg, 2024

Gebunden mit Lesebändchen, 228 Seiten, mit Abbildungen, 24 Euro
ISBN 978-3-910228-07-8

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